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Jetzt doch weiter Kindergartenfrei – eine schwierige Entscheidung ist getroffen

 

Die letzten Monate waren schwer für mich. Sehr schwer.

 

Warum?

 

Weil ich versucht habe in einer schwierigen Frage eine Lösung zu finden, die alle zufrieden stellt. Doch solch eine Lösung existiert schlichtweg nicht. Keine Lösung stellt alle Beteiligten und alle Außenstehenden mit Meinung zum Thema zufrieden. Und so hab ich mich im Kreis gedreht und wurde immer unzufriedener.

 

Ein Protokoll einer schwierigen Entscheidung:

 

 

Alles begann im Spätherbst letzten Jahres: Es war grau, dunkel und der typische norddeutsche Nieselregen. Das macht schlechte Laune und unzufrieden. Und nicht so viel Lust auf Rausgehen, wie uns allen gut getan hätte. Gleichzeitig habe ich an einem Coaching-Programm teilgenommen, welches sehr viel Zeit und Gedanken gekostet hat. Also waren die Räuberkinder unausgeglichen und ich abgelenkt und schnell genervt – keine gute Kombination. Irgendwann dachte ich, dass da vielleicht ein richtig toller Kindergarten doch sinnvoller wäre und habe sie genau dort auf die Warteliste für einen Platz ab Sommer 2018 gesetzt. Allerdings bin ich davon ausgegangen, dass niemals so „spontan“ zwei Plätze frei wären und wollte damit eher mein Gewissen beruhigen. Denn eigentlich waren wir alle zufrieden mit unserem kindergartenfreien Leben. Es waren nur ein paar schlechte Tage bzw. Wochen in Folge.

 

Im Januar rief dann der Kindergarten an, dass sie ganz spontan auch jetzt schon zwei Plätze für uns hätten – ich vermute größere Kinder sind attraktiver für einen Draußenkindergarten als zu viele windeltragende gerade 3-Jährige. Und so hatten wir einen Probetag, der mir bestätigt hat, wie wundervoll dieser Kindergarten doch ist. Ein Paradies für Kindergartenkinder. Und definitiv eine gute Gelegenheit für unsere wilden Toberäuber.

 

Ich habe dann schwer mit mir gerungen, die Mitglieder meiner Zauberhaften Kindheit FB-Gruppe und viele andere um Rat gefragt. Heute glaube ich, dass es mir so schwer gefallen ist, weil es nicht die Entscheidung zwischen ähnlich guten Varianten A und B war, sondern der verzweifelte Versuch mich mit logischen aber von außen kommenden Argumenten von Variante A zu überzeugen, während Bauch bzw. Herz ganz klar von B überzeugt waren. Denn gute Gelegenheit hin oder her, solange man grundsätzlich zufrieden ist mit dem selbst-gewählten Leben, muss man eigentlich auch nichts ändern.

 

Jedenfalls habe ich sie irgendwann wenige Tage vor Ende der Frist halbherzig angemeldet und gleichzeitig mit den Jungs vereinbart, dass wir es als verlängerte Probezeit betrachten – völliger Blödsinn, wenn der Kindergarten davon nichts weiß und auf Eingewöhnung setzt. Und im Nachhinein ein Zeichen dafür, dass ich mir unbedingt ein Hintertürchen offen lassen wollte ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen.

 

Ein erster Kindergartentag, so schön und doch so anders als kindergartenfrei
Ein erster Kindergartentag, so schön und doch so anders als kindergartenfrei

 

Der erste Kindergartentag war dann einfach nur wunderschön: Sonne, Strand und erste vorsichtige Kontakte meiner Räuber mit den anderen Kindern dort. Außerdem hat am ersten Tag noch niemand gewollt, dass ich gleich verschwinde. Ab Tag zwei war von Kindergartenseite logischer Weise Eingewöhnung angesagt: ich habe zwar um langsam und behutsam gebeten aber von Entscheidungsspielraum für die Jungs niemanden überzeugen können – irgendwie fühlte ich mich unter Druck gesetzt und nicht in der Position, ganz klar genau diesen Spielraum für meine Jungs einzufordern. Und so sollte ich mich von Tag zwei an zurückziehen, weil es dann für die Erzieher leichter wäre an meine Jungs heranzukommen und sich keiner an Kindergarten mit Mama gewöhnen kann. Ich wollte aber kein weinendes Kind wegschicken und ihnen erst die Chance geben Vertrauen in die Erzieher aufzubauen. Da prallten einfach Welten in Hinblick auf Mitspracherechte der Kinder aufeinander bzw. ist ein Kindergarten wohl eher das gegenteilige Elternverhalten („egal wie es läuft, sie müssen hierbleiben“) gewohnt.

 

Natürlich verhalte ich mich unter Druck auch nicht „normal“ und so hab ich weniger statt mehr Sicherheit für meine Jungs ausstrahlen können und die ganze Situation fühlte sich mit jedem Tag schwieriger und schwieriger an. Mein feinfühliger großer Räuber, der sowieso nicht wirklich in den Kindergarten wollte, hat darauf reagiert und sich immer stärker verschlossen. Mein kleinerer Räuber dagegen, der gerade sehr interessiert an anderen Menschen ist, war sehr viel aufgeschlossener. Er hat sich dort auch viel wohler gefühlt. Mit zwei so unterschiedlich reagierenden Kindern war es weder für die Kontakt suchenden Erzieher noch für mich einfach. Letztendlich haben sich die Jungs zwar gegenseitig gestützt, der eine hat den anderen aber auch ausgebremst.

 

Und zusätzlich zum täglichen Kindergarten liefen hier Ostervorbereitungen und alles andere nebenbei. Mich hat alles zusammen so gestresst, dass ich fast jeden Tag mit meinen Räubern eingeschlafen bin. Zufrieden war ich mit der Situation absolut nicht. Ich hatte das Gefühl mindestens einem Kind nicht gerecht werden zu können. Und auch für mich selbst wusste ich nicht weiter: „das ist wichtig für die Schulvorbereitung“/ „alle anderen Kinder lieben diesen Kindergarten“/ „es ist so eine tolle Chance neue Freunde zu finden und täglich ein kleines Abenteuer zu erleben“/ „es ist egoistisch die Kinder zuhause zu behalten nur weil man selbst diese Zeit so genießt“ und „es fühlt sich einfach nicht richtig an und die Kinder verhalten sich auch nicht so, als ob es ihr sehnlichster Wunsch ist hierher zu kommen“. Gleichzeitig hatte plötzlich jeder eine Meinung dazu, nämlich mehrheitlich dass meine Kinder mehr Sozialkontakte brauchen würden und dieser Kindergarten doch genau richtig dazu wäre.

 

Nochmal erster Kindergartentag am Strand - ein kleines Paradies
Nochmal erster Kindergartentag am Strand - ein kleines Paradies

 

Dann kamen die Osterferien und Abstand von dieser Angelegenheit. Einfach nur ganz viel Familienzeit und es fühlte sich für uns alle so wunderschön und selbstverständlich richtig an. Die Kinder haben unheimlich viel miteinander, aber auch mit Nachbarn, Freunden und Cousins/ihrer Cousine gespielt und waren ausgeglichen und zufrieden.

 

Und ich hab versucht mich selbst in dieser Sache wiederzufinden. Hab über meine eigenen Kindergartenerfahrungen als Kind und Eingewöhnungs-Eerfahrungen als Mama nachgedacht und mir eingestanden, dass ich da wohl eine ganze Menge unverarbeiteter Altlasten mit mir herumschleppe. Aber auch, dass es nicht unbedingt darum geht. Dass ich auch einfach ein Leben kennenlernen durfte, welches mir entspricht und mich erfüllt. Ein Leben, welches nicht der Norm entspricht und von vielen einfach nicht verstanden wird – wie sollen sie mir da gute Ratgeber sein? Ein Leben, welches ich einfach sehr liebe und gerne so beibehalten würde. Wenn es also nach mir ginge, so würde ich sie abmelden. (Und ja, mir ist bewusst, dass ich diesen Gefühle natürlich auch unbewusst vermittelt habe. Ich glaube trotzdem, dass sie die Meinung meiner Kinder zwar vielleicht beeinflusst aber nicht bestimmt haben – dazu sind meine Kinder einfach zu selbstbestimmt und „dickköpfig“.)

 

Doch es sollte nicht nach mir gehen. Und so war der nächste Schritt nach der Erkenntnis „es muss ja garnicht sein, auch wenn nun einmal alles in diesen Weg geleitet ist“ ein intensives Beobachten und viele Gespräche mit meinen Jungs. Außerdem habe ich mit ihrem Papa darüber diskutiert, wieviel Selbstbestimmung wir in dieser Frage als gerechtfertigt empfinden: Wir wollen sie eben nicht „zu ihrem Glück zwingen“ (wer kann das schon mit Sicherheit einschätzen?) sondern sie befähigen, wichtige Entscheidungen selbst zu treffen. Also mussten wir sie genau darin unterstützen, indem wir ihnen die Vorteile eines Kindergartenbesuches aufzeigen wollten. Aus Kindersicht waren es dann zu meinem Erstaunen doch nicht so viele Vorteile und die meisten auch nicht untrennbar mit dem Kindergarten verbunden (d.h. Für viele Punkte sind uns auch möglichen Alternativen eingefallen). Der große Räuber fühlte sich offensichtlich richtig erleichtert, dass wir sein „Ich will nicht“ endlich wie versprochen ernst nehmen wollten.

 

Aber der kleine Räuber wollte am Ende der Osterferien sehr gerne zurück in den Kindergarten. Das haben wir dann zu dritt gemacht. Es wurde auch ein schöner Tag dort und ich begann zu überlegen, probehalber nur den kleineren Räuber einzugewöhnen – es wäre interessant gewesen, welche Dynamik sich dann entwickelt hätte. Als ihm jedoch klar wurde, dass sein Bruder dann mit Mama zuhause/ am Strand/ … wäre und er alleine im Kindergarten bleiben würde, war es, als hätten wir einen Schalter umgelegt. Ohne Mama wollte er definitiv nicht. Vielleicht war es ein wenig Schocktherapie ehrlich mit ihm zu sein. Der herkömmliche Weg wäre es wohl gewesen, immer längere „ohne Mama- Zeiten“ hinzu zu schummeln. So hätte er sich vermutlich sehr schnell eingewöhnt und bestimmt sehr viele schöne Stunden dort verleben können. Aber unsere Kinder sind eben schon etwas älter und wir pflegen eine ehrliche und authentische Familienkultur – da wäre es mir einfach nicht fair vorgekommen ihnen etwas vorzuspielen.

 

Außerdem wiegen wir den sicherlich schönen Kindergartenalltag auf gegen ebenfalls schöne Tage mit mir und seinem Bruder. Gegen Ausflüge, Treffen mit befreundeten Familien, Bastelaktionen, Familienspiele und viel freies Spiel. Wir wiegen einen spannenden Kindergartenalltag gegen einen vielleicht weniger spannenden aber ebenfalls sehr schönen Familienalltag auf. Und so finde ich es absolut gerechtfertigt, nun eben auch aber nicht vorrangig in meinem Interesse entschieden zu haben.

 

Es war ein sehr spannender und lehrreicher Entscheidungsprozess. Wir lassen unsere Entscheidung nun nicht mehr von Angst bestimmen. Ich habe keine Angst mehr vor Startschwierigkeiten in der Schule, vor weniger Freunden und Sozialkontakten als ein typisches Kindergartenkind hat und vor unangepassten kleinen Persönlichkeiten. Ich habe Vertrauen in meine Kinder, weil mir ihre faszinierenden Fortschritte der letzten Monate viel bewusster sind. Und weil ich ganz klar die Verantwortung übernehme für Sozialkontakte, Bewegung und vielfältige Möglichkeiten zu Lernen und zu Wachsen zu sorgen – wenn ich Bedenken haben sollte, so kann ich reagieren.

 

Mein großer Räuber ist mit dieser Entscheidung wie befreit. Er bespricht abends im Bett wieder Pläne für den nächsten Tag und ist herrlich ausgeglichen. Mein kleiner Räuber spielt einfach weiter, als hätte er kein Interesse für den Kindergarten gehabt. Es scheint für den aktuellen Zeitpunkt die richtige Entscheidung für sie gewesen zu sein. Und einen späteren Zeitpunkt und schlechte Tage, die auch wieder kommen werden, können wir mit keiner Entscheidung vorausplanen bzw. umgehen. Ich fühle mich wunderbar frei und selbstbestimmt – aktuell kann ich dieses Leben noch stärker genießen als vorher. Und so sind wir alle gespannt, was uns die nächste Zeit bringen wird und freuen uns wieder auf Tage zur freien Verfügung!

 

 

Auf in ein selbstbestimmtes Familienleben

 

 

PS: Ich möchte in der nächsten Zeit (habe ja jetzt hoffentlich wieder Zeit :-)) unter anderem über kindergartenfrei als Alternative schreiben - das heißt nicht, dass ich finde alle müssten so leben. Aber ich halte es für eine wichtige Alternative zum Kindergarten und hätte einfach selbst gerne früher gewusst, dass sich Familien bewusst dafür entscheiden und sehr gut so leben. Auch in der aktuellen Entscheidung hätten mir noch mehr kindergartenfreie Kontakte sicherlich gut getan. Von daher möchte ich Mut zu einer eigenen Entscheidung machen aber niemals eine von meiner abweichenden Meinung bewerten.

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Kommentare: 5
  • #1

    Anne (Freitag, 20 April 2018 11:01)

    Liebste Maria,
    mein Bauch hat nach deinen Erzählungen auch gesagt "lass es". Aber ich wollte dich nicht beeinflussen. Vielleicht hätte ich es mal machen sollen, als Gegenstimme zu den anderen. Wäre das richtiger gewesen?
    LG

  • #2

    Maria (Freitag, 20 April 2018 12:04)

    Du Liebe,
    ja, das hättest du gerne machen dürfen. Ich hab so viel zu hören bekommen wie wichtig, richtig und sinnvoll es ist, dass ich unsere spezielle Situation immer stärker aus den Augen verloren habe. Prinzipiell bin ich nicht leicht zu beeinflussen und offen für fremde Meinungen, doch wenn alle irgendwie dasselbe sagen aber ich eigentlich etwas anderes will nur eben nicht nur für mich entscheide, dann komme ich schon mal ins grübeln, ob ich meine Entscheidung auch auf die Kinder ausweiten darf. Egal, jetzt fühlt es sich nicht nur wieder richtig an, jetzt habe ich diesen Weg nochmals viel bewusster ausgewählt und vielleicht war gerade das für meinen inneren Frieden damit gegen den Strom zu schwimmen wichtig...
    Liebste Grüße und ein tolles Wochenende!
    Maria

  • #3

    Anna-Lena (Freitag, 20 April 2018 12:16)

    Liebe Maria,
    danke für deinen Blog und deine Gedanken, die sind sehr wertvoll für mich!
    Meine Tochter geht seit sie knapp 3 ist in den Kindergarten, aber erst etwa ein Jahr später hatte ich das Gefühl, dass sie nun auch wirklich "so weit ist".
    Leider gehen in unserer Region schätzungsweise 95% aller Kinder mit 1 Jahr in die Krippe, es wird für alle anderen dann sehr einsam... auch Nachmittagsaktivitäten werden so gut wie gar nicht angeboten, die Kinder sind ja alle in der Betreuung, es würde also kaum jemand kommen.
    Es tut mir immer so gut von anderen zu lesen, die einen ähnlichen Weg gehen (auch jetzt geht unsere Tochter "nur" halbtags in den Kindergarten). Deshalb möchte ich auch noch auf einen Artikel hinweisen, den ich eben in der neuen "Family" (www.family.de) gelesen habe, von einer Mutter, die ihre 4jährigen Zwillinge wieder aus dem (supertollen, preisgekrönten) Naturkindergarten genommen hat, weil sie einfach nicht gut ankamen und sie an den Nachmittagen merkte, wie unglücklich ihre Kinder sind. Hat mich sehr an deinen Artikel erinnert!
    Alles Liebe und Gute für euch, deine Beiträge ermutigen mich, die Zeit mit meiner Tochter zu nutzen und zu genießen, und dafür danke ich dir!
    Anna-Lena

  • #4

    Maria (Freitag, 20 April 2018 13:54)

    Liebe Anna-Lena,
    danke für deinen lieben Kommentar!
    Ich gebe zu, dass es mich etwas Überwindung gekostet hat diese Gedanken tagebuchartig zu veröffentlichen. Aber ich weiß auch, wie sehr mir solche Erfahrungsberichte in ähnlichen Entscheidungssituationen geholfen habe und so möchte ich damit auch dazu beitragen, dass sich mehr Eltern trauen ihrem unguten Gefühl wirklich Raum zu geben um dann eine gute Entscheidung zu treffen. Gerade weil es so selten gelebt wird und damit so unbekannt ist, fällt uns diese Entscheidung ja so schwer.
    Es gibt übrigens ein kindergartenfrei-Netzwerk (www.kindergartenfrei.org) - wer sich dort registriert hat Zugriff auf eine Karte aller registrierten Kindergartenfreien Familien. Ich denke als gewissermaßen halbtags kindergartenfrei könntest du dich dort auch registrieren und findest dann vielleicht jemanden zum Austauschen oder auch mal nachmittags treffen. Auch auf Facebook gibt es entsprechende, zum Teil regionale Gruppen.
    Danke für den Link, das lese ich nachher mal in Ruhe.
    Und es freut mich sehr, wenn meine Beiträge so ankommen wie gedacht. Es ist nicht immer ganz leicht, hier im Alltagstrubel sowohl Motivation zum Schreiben als auch gleichzeitig eine gute Idee zu haben :-)
    Alles Gute für dich und genieß unbedingt weiter die Zeit mit deiner Maus! Meine ist schon so groß :-(
    Liebe Grüße,
    Maria

  • #5

    Anna-Lena (Freitag, 20 April 2018 21:28)

    Danke für den Link zum kindergartenfrei-Netzwerk! Das kannte ich noch gar nicht.
    Leider kommt man über meinen Link nicht zum Artikel, dafür muss man das ganze Heft bestellen (kann man aber glaube ich zB kostenfrei als Testabo). Mittlerweile hab ich den Artikel auch zu Ende gelesen ;-) und festgestellt, dass die Kinder der Autorin nach einer kindergartenfreien Zeit nun in einer kleinen Kindergartengruppe sind. Trotzdem denke ich ein sehr lesenswerter Artikel, es hängt ja wirklich auch so vieles von den Umständen und Gegebenheiten vor Ort ab. Liebe Grüße :-)