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Mit Montessori entspannter und harmonischer durch den Familienalltag

Es gab einmal eine Zeit, da sind die Kinder und ich gewissermaßen im Blindflug durch unsere Tage gesegelt: ich hatte keinen Plan für uns und wenig Ahnung davon, was ihnen und mir gut tun würde und habe mich davon leiten lassen, was sie mir an Interessen und Bedürfnissen gezeigt haben. Eigentlich war das eine sehr schöne (wenn auch sehr anstrengende) Zeit, doch mit 3 kleinen Kindern musste ich meine Aufmerksamkeit natürlich sehr aufteilen und gerade die beiden Älteren mussten auch viel zurückstecken. Damals fand ich das ganz normal und habe darauf vertraut, dass sie schon sinnvolle Beschäftigungen finden werden. Das hat auch halbwegs funktioniert, aber es gab oft auch sehr viel Frustrationen bei den Kindern und bei mir. Aus damaliger Sicht fand ich das zu erwarten mit 3 kleinen Kindern und habe einfach mein Bestes gegeben. Aus heutiger Sicht hätte ich durchaus ein paar Stellschrauben bewusst nutzen können um allen Bedürfnissen besser gerecht zu werden und damit einen entspannteren und harmonischeren Alltag für uns alle zu gestalten. Einige dieser Stellschrauben habe ich als wichtige Prinzipien in der Montessori-Pädagogik gefunden und möchte sie dir heute vorstellen.

 

 

Viele Eltern denken bei Montessori vermutlich an teure Lernmaterialien und entsprechende Kindergärten und Schulen, doch ich denke der wirkliche Kern der Montessori-Pädagogik besteht in 3 anderen Dingen, die uns im Familienalltag unendlich weiterhelfen können. Welche diese sind und wie du sie nutzen kannst um mehr Harmonie und Entspannung in deinen Tag mit Kindern zu bekommen, möchte ich dir gerne erklären.

 

Denke vom Kind aus

Allzu oft haben wir Eltern einen Plan für unsere Kinder: wir haben vielleicht bestimmte Erziehungsziele sowie Werte die wir weitergeben möchten. Oft haben wir auch Kindheitserlebnisse, die wir unseren Kindern schenken möchten und Lernziele, die sie erreichen sollen. Wir möchten das Beste für unser Kind und haben ein mehr oder weniger festgelegtes Ideal, wie dieses “Beste” aussehen soll.

 

Doch es geht hier nicht um uns. Es geht um einen anderen Menschen, der einen großen Teil seiner Persönlichkeit (wie groß genau ist noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion) bereits mitbringt und der ganz eigenständige, zum Teil entwicklungsstands-abhängige und zum Teil individuelle Bedürfnisse, Vorlieben und Talente hat. Diesen gerecht zu werden anstatt ihn unserem Ideal anzupassen ist eine große Herausforderung. Doch genau darum ging es Maria Montessori: sie hat ihr Leben lang Kinder beobachtet und darauf aufbauend alterstypische Entwicklungsbedürfnisse herausgearbeitet sowie die Individualität der Kinder betont. Ihrer Meinung nach erschafft das Kind sich gewissermaßen selbst und wir Erwachsene haben eine begleitende und unterstützende Rolle. Alle Einflüsse auf das Kind, also seine Umgebung, sein Tagesablauf etc., sollen demnach systematisch vom Kind und seinen Entwicklungsbedürfnissen aus gedacht und gestaltet werden und nicht danach, was wir Erwachsene aus welchen Gründen auch immer für sinnvoll halten.

 

“Wir als Erwachsene müssen eine neue Rolle spielen. Wir müssen erkennen, dass wir dem Kind nicht helfen, sondern es behindern, wenn wir versuchen, es direkt zu formen.” Maria Montessori

 

Ganz praktisch dürfen die Kinder in der Montessori-Pädagogik beispielsweise selbst wählen, womit sie sich beschäftigen möchten und die verfügbaren Angebote, sozusagen der äußere Rahmen für diese Selbstständigkeit, werden beruhend auf die wiederholte Beobachtung der Kinder stetig angepasst und erweitert. So dürfen die Kinder in einem stetig größere werdenden Rahmen selbstständig und selbstwirksam sein.

 

Und zuhause? Zuhause bedeutet es unseren Umgang mit den Kindern vom individuellen Kind ausgehend zu gestalten: Wo befindet sich das Kind gerade in seiner Entwicklung und was ist ihm gerade wichtig? Wie können wir seine Entwicklung unterstützen? Wo seine Selbstständigkeit stärken? Und wo Wahlfreiheit bieten? Welche Inspiration könnte es gerade bereichern? Und wie können wir unserer Rolle als Begleitung und Vorbild gerecht werden ohne den Spielraum des Kindes einzuschränken?

 

All diese Dinge ergeben sich, wenn wir uns im Alltag gelegentlich Zeit nehmen das Kind zu beobachten und das Beobachtete sowie die Unterhaltungen mit dem Kind reflektieren. Ein Werkzeug dazu kann ein kleines Notizbuch sein, in welches wir laufend Beobachtungen und Gespräche/ Kinderfragen sowie unsere Reflexionen und Ideen notieren. Da diese Herangehensweise vermutlich erst ungewohnt ist, dürfen auch wir Eltern in diesem bewussten Umgang mit den Kindern hinein wachsen.


“Das besondere an ihrer Pädagogik ist die Haltung gegenüber dem Kind [...] wir können Kindern mit kleinen, aber aufmerksamen Veränderungen im Umgang mit ihnen und bei der Bereitstellung der Umgebung, in der sich aufwachsen oder lernen, erheblich bei ihrer Entwicklung helfen - und damit viele Sorgen und Streitereien im Alltag mit unseren Kindern unsererseits auflösen.” Ulrike Hammer

 

Sei ein vorbereiteter Erwachsener

Meist bereiten wir uns sehr auf unsere erste Geburt und die Babyzeit vor, beschäftigen uns mit Babybedürfnissen, Anschaffungen und vielem mehr. Wenn die Kinder größer werden sind wir dann meist zu sehr mit dem Alltag beschäftigt, als dass wir uns systematisch auf die vor uns liegende Zeit vorbereiten würden. Vielmehr passiert die Auseinander mit den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder meistens erst dann, wenn es Probleme gibt.

 

Doch genau das soll nach den Schriften Maria Montessoris anders laufen: sie fordert den vorbereiteten Erwachsenen. “Vorbereitet” bedeutet in ihrem Sinne mehrere Dinge: der Erwachsene soll sich selbst und seine Rolle reflektieren, um als gefestigte Persönlichkeit den Kindern ein Vorbild und sozusagen der Fels in der Brandung sein zu können. Außerdem braucht der Erwachsene das Wissen um die Entwicklungsschritte und Entwicklungsbedürfnisse des Kindes, um einschätzen zu können, welche Form der Begleitung und auch welche Beschäftigungen das Kind in seiner aktuellen Entwicklung bestmöglich unterstützen können. Und drittens geht es darum die Kinder stetig zu beobachten, um Rückschlüsse über Interessen, Schwierigkeiten und vieles mehr treffen und eben noch individueller begleiten zu können.

 

Wie lässt sich dies ganz praktisch im Familienalltag umsetzen?

 

Ich glaube, dass es für uns selbst als auch für unsere Kinder eine große Bereicherung ist, wenn wir uns auf die Themen, die die Kinder in unserem Leben anstoßen, wirklich einlassen und diese als Anlass nehmen um zu reflektieren und innerlich zu wachsen. Leider sind die meisten von uns es gewohnt auszuweichen und eher die Kinder einzuschränken anstatt wirklich hinzusehen, warum uns manches kindliche Verhalten solch großes Unbehagen bereitet und warum wir immer wieder wütend, traurig oder enttäuscht reagieren. Die Montessori-Pädagogik beschreibt die “innere Einkehr, d.h. die Selbstreflexion des Erwachsenen im Hinblick auf seine Rolle [...], für die das Nachdenken über das eigene Menschenbild unabdingbar ist” (Michael Klein-Landeck, Tanja Pütz). Genau dies anzunehmen und sich Zeit dafür zu nehmen macht uns zu besser vorbereiteten Erwachsenen.

 

Auch die Entwicklungsbedürfnisse von Kindern sind erstaunlich unbekannt. Es gibt selbstverständlich nicht nur die von Maria Montessori beschriebenen Entwicklungsschritte, sondern auch vielfältige weitere Forschung und Literatur dazu. Doch die wenigsten Eltern beschäftigen sich intensiv damit. Dies soll in keiner Form Kritik sein, habe ich mich doch jahrelang ebenso eher vom offensichtlichen vom Kind kommenden Hinweisen inspirieren lassen und ansonsten zu Kindergartenzeiten meiner Großen dieser Einrichtung die Verantwortung ein Stück weit überlassen. Doch das bedeutet, dass ich eben nicht wusste, dass meine Große beispielsweise gerade intensiv Sprache lernte und eben auch deshalb nicht alleine spielen würde, weil ihr Bedürfnis nach Sprache noch nicht erfüllt war. Oder dass ein übersichtliches Regal anstatt einer Spielzeugkiste den sich entwickelnden Ordnungssinn ansprechen würde. Oder auch, das Übergänge jeglicher Art eine Herausforderung an sich darstellen aber nicht bedeuten, dass Tätigkeit A der Tätigkeit B vorgezogen wird. Wären mir solche Zusammenhänge bewusst gewesen, hätte ich kindgerechter agieren und unseren Alltag bewusster gestalten können - das hätte uns vermutlich entspanntere Kinder und harmonischere Familienzeiten geschenkt.

 

Wenn du dich mit den Entwicklungsphasen und -bedürfnissen beschäftigen willst, so sind meine Artikel über Babys und Kleinkinder sowie über Grundschulkinder sicher ein guter Einstieg. Außerdem empfehle ich dir die Beschäftigung mit den sensiblen Phasen und Entwicklungsstufen nach Maria Montessori. Alternativ gibt es eine ganze Reihe weiterer Literatur über die Entwicklung von Kindern, beispielsweise “Grundlagen der Entwicklungspsychologie - Die ersten 10 Jahre”* von Gabriele Haug-Schnabel und Joachim Bensel.

 

“Das Ziel meiner Methode ist es, die Bedürfnisse des Kindes zu verstehen und diese so zu bedienen, dass sich sein Leben vollständig entwickelt. Wir geben dem Kind nahrhaftes Essen, damit sein kleiner Körper wachsen kann, und wir müssen ihm ebenfalls eine angemessene Nahrung für sein geistiges und moralisches Wachstum geben. Genauso wie wir seinem Körper nicht direkt helfen können, erwachsen zu werden, können wir nicht Geist oder Charakter für das Kind formen. Aber wir können seine geistigen Bedürfnisse genauso wie seine körperlichen Bedürfnisse sättigen.” Maria Montesori

 

Schaffe eine vorbereitete Umgebung

Unsere Umgebung beeinflusst und prägt uns weit mehr, als wir es vielleicht vermuten würden - nicht umsonst gilt sie in der Reggio-Pädagogik als dritter Lehrer. Doch was genau beeinflusst uns so sehr und wie können wir diese für die Kinder gestalten?

 

Stell dir einmal vor, dass du in ein Zimmer kommst, in welchem du noch nie gewesen bist. Vielleicht ist es ein minimalistisch und sehr elegant eingerichtetes Hotelzimmer mit einem angenehm unaufdringlichen Duft? Vielleicht ist es eine mit hellen Holzmöbeln eingerichtete Küche mit einem riesengroßen Strauß Sommerblumen auf dem Tisch? Oder vielleicht ist es ein Raum mit lauter bunten Bildern an den Wänden, Gelächter und Stimmengewirr ist zu hören und es riecht nach gutem Essen? Wo fühlst du dich gleich wohl? Wo würdest du gerne ausruhen, wo konzentriert arbeiten und wo ein fröhliches Sommerfest feiern? Vermutlich reicht die Vorstellung der Räume aus, um Stimmungen und Gefühle zu transportieren - weil unsere Umgebung auf uns wirkt.

 

Ein anderes Beispiel ist die Einrichtung eines Familienwohnzimmers: liegen dort bunte oder auch sorgfältig ausgewählte Spielsachen bereit? Ist vielleicht eine Höhle aufgebaut? Ist es eher minimalistisch, sehr aufgeräumt und ohne jegliche Spielsachen gestaltet? Gibt es einen einladenden Schrank voller interessanter Bücher? Oder steht vielleicht eine Tisch voller Kreativmaterial in der Mitte und bunte Bilder hängen an den Wänden? Stell dir vor, du kommst als Kind in dieses Wohnzimmer - was würdest du dort machen?

 

Die Umgebung vorzubereiten hat viel damit zutun sich Gedanken zu machen wie und von wem diese genutzt werden soll. Maria Montessori plante Kinderbetreuungseinrichtungen und beschrieb eine einladende und wohlgeordnete, anregende und ästhetische Umgebung voller interessanter Gegenstände und echter, kindgerecht kleiner Werkzeuge. Es ging ihr darum, dass die Kinder sich dort geborgen fühlen sollen sowie selbstständig tätig sein können.

 

Zuhause haben wir natürlich etwas andere Bedürfnisse als in einem Kindergarten oder einer Schule, außerdem wohnt dort die ganze Familie und nicht nur die Kinder. Doch viele Zuhause sind tatsächlich nur auf Erwachsene ausgerichtet, beispielsweise mit unerreichbaren Lichtschaltern, Waschbecken und Schränken. Sich bei diesen Dingen Gedanken zu machen wie die Kinder selbstständiger sein können und alles erforderliche Nutzen können, ist ein erster Schritt in eine vorbereitete Umgebung. Neben dem Ermöglichen der Selbstständigkeit geht es auch um die spezifischen Bedürfnisse von Kindern (Bewegung, Platz zum Spielen, Teilhaben am Familienleben, etc.) sowie um all die Dinge, die Kinder inspirieren, ästhetisch ansprechend finden und eben für ihr Spielen, für ihre Hobbies und zum Lernen benötigen. All diese Funktionen und Dinge sinnvoll und übersichtlich unter zu bringen um ein schönes und anregendes Zuhause zu schaffen, ist definitiv eine Wissenschaft für sich. Doch davon muss sich niemand abschrecken lassen.

 

Wir hatten beispielsweise einen verhältnismäßig großen Wohnzimmertisch als Teil eines Kreativbereiches (hier ein Artikel über dessen Gestaltung), was bewusst dazu anregen sollte gemeinsam kreativ zu sein anstatt im Wohnzimmer zu toben oder sich gelangweilt zu streiten. Ich habe ein paar Jahre lang bewusst im Herbst darauf geachtet diesen Kreativbereich neu zu sortieren und neu zu bestücken, so dass wir einen einfacheren Übergang vom sommerlichen draußen toben zum vielen drinnen beschäftigen im Winterhalbjahr gestalten konnten. Es hat wunderbar funktioniert und uns unzählige harmonische Kreativnachmittage geschenkt. Und es war ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sehr uns eine vorbereitete Umgebung im Alltag unterstützen kann.

 

Wenn wir unsere Umgebung so vorbereiten wollen, dass sie uns und unsere Kinder im Alltag unterstützt, dann braucht es dafür bewusstes Reflektieren und Gestalten: Beobachte doch einmal, wie deine Umgebung dich in deinem Alltag unterstützt und welche Aspekte dir den Alltag eher erschweren. Und beobachte einmal, wie die Umgebung auf deine Kinder wirkt: schaue dazu gerne einmal aus Kinderperspektive in die Räume und beobachte deine Kinder eine Weile immer wieder, wie sie sich verhalten - erleichtert die Umgebung das Ausleben der unterschiedlichen Bedürfnisse und Persönlichkeiten? Ermöglicht sie Selbstständigkeit?

 

"Das Kind im über-luxuriösen Kinderzimmer mit zu vielen Spielsachen und Ablenkungen und lästiger, permanenter Aufsicht ist wie eine junge Pflanze, die überschwemmt wird. Der Boden wird sauer und die Pflanze kränklich. Geben Sie einem Kind aber eine geeignete Umgebung, ist die Wirkung auf seinen Geist die gleiche wie die Wirkung auf seine Gesundheit, wenn Sie ihm eine ausgewogene Ernährung geben." Maria Montessori

 

Letztendlich geht es meiner Meinung nach nicht darum, dass wir zuhause alles perfekt auf die Kinder ausrichten sowie uns und unsere gemeinsame Umgebung komplett ihrer Entwicklung verschreiben. Die Prinzipien der Montessori-Pädagogik wurden für die institutionelle Kinderbetreuung entwickelt zu einer Zeit, als man davon ausging, dass weder die Familien noch die Kinderbetreuungseinrichtungen wirklich im Sinne der Kinder gestaltet waren. Seitdem hat sich vieles (wobei in einigen Bereichen auch erschreckend wenig) verändert, und viele Kinder können sich freier entwickeln. Damit wir ihnen zu noch mehr Entwicklungsfreiheit verhelfen können und sie gleichzeitig gut darin unterstützen und begleiten können empfinde ich die Prinzipien Montessoris als sehr hilfreich. Je mehr wir mit den Kindern anstatt gegen sie arbeiten, deston entspannter und harmonischer kann auch das Familienleben werden, wenn wir uns selbst und unsere Bedürfnisse dabei nicht vergessen. Denn genau dieses Einbinden aller Bedürfnisse ist die Kunst, wenn es nicht um eine extra für Kinder eingerichtete Institution sondern um unser Familienzuhause und unser Familienleben geht.

 

Lasst uns dieses gemeinsam gestalten!

 

Deine Maria

 

PS: Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann teile ihn gerne und unterstütze dadurch mich bei meinem Traum Kindern und Müttern zu einem glücklicheren und lebenswerten Familienalltag zu verhelfen. Und kommentiere gerne mit Fragen oder Anregungen zum Thema.

 

PSS: Die Zitate kommen größtenteils aus dem empfehlenswerten kleinen Büchlein "Maria Montessori spricht zu Eltern"* aus dem Herder-Verlag. Ein weiteres empfehlenswertes Einführungswerk, welches allerdings in meinen Augen eher an Pädagogen gerichtet ist, ist das Buch "Montessori-Pädagogik - Einführung in Theorie und Praxis"* von Michael Klein-Landeck und Tanja Pütz.

Mit Montessori entspannter und harmonischer durch den Familienalltag
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