Freilernen - so kann es aussehen

In einigen Ländern wie den USA, Kanada, Australien und England ist es ein wachsender Nischen-Lebensstil, seine Kinder nicht in die Schule zu schicken. In vielen anderen Ländern ist es zumindest unter bestimmten Voraussetzungen gestattet: Homeschooling oder Unschooling in den Englischsprachigen Ländern, in Deutschland vielfach Freilernen genannt. Aber wie sieht das in der Praxis aus?

Vorletzte Woche hatte ich dir in meiner kleinen Post-Reihe zum Freilernen erzählt, wie ich das Thema Freilernen für mich entdeckt habe. Heute möchte ich ergänzend dazu beschreiben, wie das in der Realität aussehen kann. Wir leben gerade einen vergleichbaren Lebensstil in der Vorschulzeit meiner großen Prinzessin. Für das Schulalter muss ich somit auf Quellen verweisen. Trotzdem hoffe ich, dir einen kleinen Einblick geben zu können. Viel Spaß!

Freilernen, Hausunterricht, Homeschooling, Unschooling, Worldschooling - Versuch einer Erklärung

Zuerst einmal möchte ich diese denkbaren Alternativen zur Schule genauer erklären. Was beschreiben die Bezeichnungen Freilernen, Hausunterricht, Homeschooling, Unschooling und Worldschooling?

 

Letztendlich ist Homeschool der meines Erachtens weltweit verwendete Oberbegriff für das nicht in der Schulumgebung stattfindende Lernen von Kindern. Dieses kann daraus bestehen, dass zuhause schulähnlich unterrichtet wird, quasi eine Schule im Kleinen (klassisches Homeschooling, auf Deutsch auch Hausunterricht). Doch einige/viele(?) Familien lassen entweder aus ihrer Alltagserfahrung als Homeschoolfamilie oder aus ihrer Weltanschauung heraus den Kindern mehr Freiraum. Und stellen fest, dass es wunderbar funktionieren kann. Dass Kinder für ihr eigenes Lernen mehr Verantwortung und mehr Wahlfreiheit haben können. Und wenn man diese Freiheit noch mit vielen oder langen Reisen kombiniert, kann man vom Worldschooling sprechen.

 

Letztendlich geht es darum, ob man das Prinzip beschult zu werden gut findet und die Kinder nur aus dem Umfeld Schule heraus halten will. Die Gründe können sein:

  • Kritik am Schulsystem - ein sehr lesenswerter Artikel dazu ist "Seven Sins of our System of forced Education" von Peter Gray (zusammengefasst: Schulen sind vergleichbar mit Gefängnissen (Anwesenheitszwang), positive Eigenschaften wie Teamfähigkeit, kritisches Denken und unterschiedlicher Herangehensweisen/ Denkstile können im Schulalltag Probleme bereiten)
  • Mobbingerfahrungen und andere soziale Probleme in der Schule
  • Probleme mit den großen und lauten Schulklassen
  • Lernschwierigkeiten wegen ADHS, Autismus, Hochbegabung oder einfach, weil die Kinder besser anders lernen als der Lernplan/ Lehrer will - spannende Artikel dazu sind beispielsweise "School ADD isn´t homeschool ADD" von LauraGraceWeldon und "If He`s REALLY So Smart ... When Giftet Kids Struggle" von RaisingLifelongLearners
  • religiöse und/oder weltanschauliche Gründe

Vielleicht findet man es allerdings auch merkwürdig, dass man ein Kind auf ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben vorbereiten soll, indem man alle Entscheidungen für dieses Kind trifft. Und dass alle Kinder nur aufgrund ihres Alters gerade dasselbe lernen sollten, unabhängig von ihrem Entwicklungsstand, ihren Interessen und ihrer Lebenswirklichkeit. Also wird das Lernen freier und für das Kind selbstbestimmter. Dann geht Homeschooling in die Richtung Unschooling bzw. auf Deutsch eben Freilernen.

 

Ob das Kind dann auch tatsächlich lernt? Natürlich, es lernt den ganzen Tag irgendetwas, weil wir Menschen einfach unendlich lernfreudig sind - zumindest solange man es uns nicht durch Zwangslernen abtrainiert hat. Ob das Gelernte auch für einen Schulabschluss reicht? Das kommt darauf an ob das Kind irgendwann entscheidet, dass es diesen Schulabschluss gerne machen möchte. Wenn ja, besitzt es vermutlich die nötige Motivation sich darauf vorzubereiten. Ein Beispiel ist Deutschlands wohl bekanntester Freilerner, Moritz Neubronner (im Kurzinterview auf YouTube), der letztes Jahr mit seinem Abitur durch die Medien ging. Und wenn das Kind diese Motivation nicht entwickelt? Dann wird es hoffentlich einen anderen Weg finden seine Interessen auch als Erwachsener weiter zu verfolgen und davon leben zu können.

Ideen um selbstständiges Lernen zu fördern

Unser Leben, quasi Freilernen für Vorschulkinder, schimmert in diesem Blog ja immer wieder durch. Ein paar wichtige Punkte, möchte ich hier als Anregung zusammenfassen (wobei einige dieser Punkte bei uns immermal bewusst wiederbelebt werden müssen):

  • Kinderfragen so gut es geht fördern: wir denken gemeinsam über eine Antwort nach, lesen in Büchern oder im Internet nach oder heben uns das Thema für den nächsten Bibliotheksbesuch auf - seitdem wir diese Fragen so wertschätzen werden es fast täglich mehr
  • dabei versuchen wir eigenes Denken zu fördern, d.h. die Kinder zuerst ihre Vermutungen äußern lassen und damit gemeinsam weiter denken anstatt sie zu belehren
  • wenn ein Kind ein Interesse zeigt, versuchen wir es darin zu unterstützen - egal ob Sport, Kunst oder ein Thema wie aktuell die Frühgeschichte
  • Materialien sind hier immer zugänglich, das betrifft gute Bücher, anregende Kunstmaterialien sowie auch "naturwissenschaftliche Arbeitsmaterialien" wie Lupe, Becherlupe, Lineal und Bestimmungsbuch
  • Lesen und Schreiben, Zählen und Rechnen sind wichtig für ein Grundschulkind und deshalb bemühen wir uns diese Fähigkeiten immer wieder dezent demonstrativ zu verwenden
  • Vorlesen, vorlesen, vorlesen
  • gemeinsam Neues erkunden - ein ansprechendes Buch bereitlegen, draußen neues Entdecken, beim Einkaufen mal ein bisher fremdes Lebensmittel einstecken, gemeinsam ein unbekanntes Rezept heraussuchen und probieren, interessante Orte aufsuchen
  • für ruhigere Momente im Alltag sorgen, während derer sich jeder ungestört in etwas vertiefen kann - ein Übungsprozess im Moment (z.B. jeder ein eigenes Buch anschauen)
  • den Kindern die Gelegenheit und Ermutigung geben, Probleme selbst zu lösen (d.h. weder zu früh eingreifen noch ständig helfen sobald etwas schwieriger wird)
  • sie an möglichst allem zu beteiligen, z.B. in der Küche
  • aktiv dabei sein und sich Zeit nehmen - nur wenn ich sehe was sie interessiert, kann ich ein Interesse auch unterstützen

Und wie sieht Freilernen für Kinder im Schulalter aus?

Hier möchte ich zuerst auf eine tolle Dokumentation verweisen: "Schule? Nein Danke!". Wer sich für das Thema und den Alltag interessiert, sollte sich diese auf YouTube (dahin führt der Link) unbedingt ansehen. Ein weiteres deutschsprachiges Beispiel ist eine im Internet als die Rohkost/Sundance-Familie bekannte Weltreisefamilie. Ihre Videos, darunter auch mehrere zum Thema Homeschooling, findet ihr ebenfalls auf YouTube (z.B. dieses). Eine ganze Fülle von Erfahrungsberichten und Alltagseinblicken bietet schließlich das Buch "Wir sind so frei: Freilerner-Familien stellen sich vor" vom tologo Verlag. Dieser bietet Interessierten neben diesem auch noch eine Reihe weiterer Bücher zum Thema Bildungsfreiheit. Eine Übersicht findet sich auf der Verlagsseite.

 

Weniger konkretes Beispiel, aber voller Denkanstöße ist auch "Der Anfänger-Guide zum Unschoolen", welcher im unerzogen-Magazin veröffentlicht wurde und kostenfrei als PDF zugänglich ist. Ebenso lesenswert ist der Artikel "Unschooler und Mathematik - Wie war das bei uns?" aus einer anderen Ausgabe des unerzogen-Magazins.

 

Und da sind meine deutschen Alltagsbeispiele auch schon ausgeschöpft und wir machen mit englischsprachigen Beispielen weiter: Ein großartiges Beispiel für Unschooling jüngerer Kinder bietet der Blog HappinesIsHere. Schau dir doch den inspirierenden Post "Unschooling: A day in our life" an. Weitere meiner Lieblingsblogs mit Post über ihren Freilern-Alltag sind AnEveryDayStory mit wöchentlichen Rückblicken auf ihre jeweilige Woche (z.B. "This Week... A Photo Journal of our Child-led Homeschool") sowie "A homeschool day" (ca. 1. Klasse) und "Our Weekly Schedule + Books & Resources for 2016" (ca. 3. Klasse). Außerdem NaturalBeachLiving mit "Our Daily Homeschool Schedule" sowie "Finding Your Perfect Homeschool Rhythm". Beide Blogs beschreiben eher das Homeschool-Leben mit Grundschülern. Für Alltagsberichte von Familien mit verschiedenen Altersklassen (Vorschule bis Oberstufe) empfehle ich beispielsweise se7en mit "A HomeSchool Day in the Life of Se7en + 1..." und BuildYourLibrary mit "Literature-Based Learning: Creating a Rhythm to your Days".

 

Und ja, natürlich habe ich hier Beispiele ausgewählt, die mich selber ansprechen. Die ich gerne so ähnlich leben würde, wenn ich dürfte. Denn darum geht es hier doch, dir zu zeigen wie man alternativ zum Schulleben neugierige und belesene (ich verzichte mal auf das Wort gebildete) Kinder aufwachsen lassen kann. Und natürlich kann Homeschooling auch ganz anders aussehen, strenger Hausunterricht statt Freilernen oder irgendetwas dazwischen. Eben immer so, wie es für die jeweilige Familie passt.

Was ich mit diesem Post nicht will

Wie auch im ersten Post dieser Serie (Wie ich zum Thema Freilernen kam) möchte ich hier nochmals betonen: Ich will definitiv nicht den Lehrerberuf abwerten. Und ich weiß, dass es viele Schulen gib, welche sich unendlich Mühe geben im Rahmen ihrer Möglichkeiten gute Schulbedingungen für ihre Schüler zu schaffen. Das finde ich großartig. Ich möchte auch nicht all die Eltern kritisieren, welche sich ein solches Leben nicht vorstellen können. Welche die schulische Betreuung für ihre Kinder brauchen und/oder das soziale Miteinander in der Schule schätzen.

 

Ich wünsche mir einfach nur die Freiheit für meine Kinder und mich ein Leben wählen zu können, welches in unserem Land kriminalisiert wird, in vielen anderen Land erlaubt ist (zur Lage in Europa beispielsweise in "Schulpflicht und bildungsfreiheit in Europa") und beispielsweise in Kanada sogar finanziell unterstützt wird. Ob ich das bis zum Ende der Schulzeit leben wollen würde kann ich nicht abschätzen. Für die ersten Jahre erscheint es mir für unsere Familie aber sehr attraktiv.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Renee Bensinger (Freitag, 03 Februar 2017 21:57)


    It's nearly impossible to find knowledgeable people for this subject, however, you sound like you know what you're talking about! Thanks

  • #2

    Karol Engel (Samstag, 04 Februar 2017 11:33)


    Hi there mates, nice piece of writing and nice arguments commented at this place, I am truly enjoying by these.