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5 Aha-Momente, die ich ohne kindergartenfrei wohl nicht gehabt hätte

Wir leben seit 6 Jahren mit immer mindestens einem Kind kindergartenfrei, doch das war nicht so geplant. Ich hab vorher nicht einmal gewusst, dass sich Familien bewusst für ein Leben als Selbstbetreuer entscheiden und der Wunsch ohne Kindergarten und vielleicht sogar ohne Schule zu leben wäre mir sehr suspekt vorgekommen. Doch ich durfte dazulernen. Meine Kinder haben mir gewissermaßen eine neue Welt gezeigt und ich bin so dankbar dafür. Was dieses Leben für unsere Familie bedeutet, hat mich überrascht und bereichert:

Verantwortung selbst übernehmen

Die meisten von uns sind es wohl einfach gewohnt, nicht komplett die Verantwortung zu übernehmen - als Kinder durften wir vermutlich alle nicht die Verantwortung für unser Leben übernehmen und später war Verantwortung oft irgendwie anstrengend. Dann sollen wir plötzlich Verantwortung für unsere Kinder übernehmen und es erscheint schnell als Belastung: Windeln wechseln, für Bewegung und frische Luft sorgen, gesund ernähren, Sozialkontakte ermöglichen, Motorik, Sprache, mathematisches Denken und vieles mehr fördern,... So viele Kinderbedürfnisse wollen erfüllt werden und gleichzeitig haben viele Eltern den Anspruch ihre Kinder zu fördern und durch mehr oder weniger formende Erziehung auf ihre späteres Leben vorzubereiten. Was für ein Glück, wenn dann Kindergarten und später Schule kräftig mitmischen. Da lernen sie ja so viel und “erzogen” werden sie irgendwie auch noch.

 

Wenn man sich plötzlich gegen diese Institutionen entscheidet, bleibt das physische und psychische Wohlergehen des Kindes in den eigenen Händen - was für eine Verantwortung. Ich war in unserer kindergartenfreien Anfangszeit gewaltig überfordert damit, meinen drei Toberäubern gerecht zu werden. Individuelle Förderung war da absolut nicht drin.

 

Aber nach und nach habe ich gesehen, was für eine Chance diese Verantwortung in meinen Händen bedeutet. Nicht nur ich darf über mich selbst hinaus wachsen, ich darf auch noch meine Lieblingsmenschen dabei begleiten. Und ich kann dabei Weichen stellen: Bewegungsdrang in geschlossenen Räumen oder in der Natur ausleben? Sozialkontakte als Anpassung an eine nicht selbst gewählte Zwangssituation (nicht alle Kinder empfinden so, aber genau das wäre es für meinen Mittleren gewesen) oder aus echtem Interesse an anderen Menschen? Gesunde Ernährung mit Zwang oder als bereichernde Erfahrung beim spielerischen Ausprobieren? …

 

Selbstverständlich beeinflussen diese Entscheidungen meine Kinder! Und wenn ich die Verantwortung selbst übernehme, dann kann ich sie individuell passend für meine Kinder treffen. Ich kann nicht nur meine Werte zum Ausdruck bringen sondern auch die Kinder selbst viel stärker beteiligen. Sie dürfen lernen selbst Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und diese als etwas Bestärkendes erleben. Was für eine Chance!

 

 

Mitten im Leben

"Kinder gehören in den Kindergarten bzw. in die Schule" früher hätte ich diesen Satz selbstverständlich für richtig erachtet. Heute würde ich sagen "Kinder gehören mitten ins Leben!". Wenn man es einmal hinterfragt ist es schon ziemlich schräg, dass Kinder in extra für sie geschaffenen Institutionen untergebracht werden und dort nur mit Ihresgleichen (Altersstruktur aber oft auch soziale Herkunft) zusammen zu sein um auf ihr Leben außerhalb dieser Institutionen mit vielen unterschiedlichen Altersklassen und Sozialstrukturen vorbereitet zu werden. Und es ist nicht nur schräg, es hat auch Nachteile: erhöhte Rivalität und Mobbing-Gefahr durch die gleiche Altersklassen beispielsweise.

 

Wenn man plötzlich nicht mehr seine Tage in dieser Institution verbringt, kann man ganz anders am gesellschaftlichen Leben teilnehmen: es ist Zeit da für Stadtbibliothek, Museum und Park, Gespräche mit sehr unterschiedlichen Menschen und Kontakte zu allen Altersklassen. Wir standen plötzlich mitten im Leben umgeben von ganz unterschiedlichen Menschen und hatten Zeit sowie Muße dafür. Ich habe niemals zuvor so viele Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen geführt und es hat meinen Horizont immens erweitert.

 

 

Enge Eltern-Kind-Beziehungen

Auch wenn ich aus einer liebevollen Familie komme, finde ich es überraschend wie eng man als Familie zusammenwachsen kann, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt. Familienleben muss kein schleichendes Auseinanderleben nach der intensiven Babyphase sein, sondern darf auch ein stetiges Beziehung aufbauen sein.

 

Meine Räuberkinder werden immer selbstständiger und verbringen zunehmend sehr gerne viel Zeit mit ihren Freunden. Manchmal sehen wir sie einen ganzen Tag lang kaum, weil sie mit den Nachbarskindern draußen unterwegs sind. Das halte ich für richtig und wichtig, weil sie natürlich ohne uns Eltern Sozialkontakte pflegen lernen sollen und ein wichtiger Teil der Kindheit eben auch eine schrittweise Ablösung von den Eltern ist.

 

Doch auch wenn sie ihre Kontakte pflegen, viel selbstständig frei spielen und insgesamt unabhängiger von uns werden, bleibt uns bisher viel gemeinsame Zeit. Und die schätzen wir sehr. Ich bin fest davon überzeugt, dass Beziehungen Austausch und gemeinsam verbrachte Zeiten brauchen. Dass Beziehungen nicht einfach da sind, sondern gepflegt werden wollen.

 

Genau das tun wir seit Jahren sehr intensiv und das hat wunderbare Auswirkungen: ich habe zu allen drei Kindern eine sehr enge, vertrauensvolle Bindung und genieße es wirklich sehr, dass sie sich mit Problemen, Kummer aber auch schönen Gedanken jederzeit vertrauensvoll an mich wenden. Es fällt mir nicht immer leicht diese intensive Beziehung zu den größer werdenden Kindern aufrecht zu erhalten und mich beispielsweise für ihre Hobbies und Themen zu interessieren. Aber ich merke wie die viele gemeinsame Zeit es leichter macht mich wirklich auf jeden Einzelnen einzulassen. Das ist ein Geschenk, was uns schon durch manche schwierige Phase getragen hat.

 

 

Intensive Geschwisterbeziehungen

Neben der engen Beziehungen zwischen uns Eltern und den jeweiligen Kindern empfinde ich die starken Geschwisterbindungen als weiteren immensen Vorteil unseres Lebensstils. Geschwister müssen nicht zwangsläufig ständig streitende Rivalen sondern dürfen auch beste Freunde sein. Und wer viel Zeit gemeinsam verbringt und unzählige schöne Momente teilt, hat beste Chancen darauf.

 

Ich finde es wunderschön zu sehen wie vertraut meine Räuberkinder miteinander sind und wie sehr sie sich gegenseitig unterstützen und bereichern. Natürlich haben wir bei so viel gemeinsamer Zeit auch immer wieder Streit zwischen den Geschwistern. Wir können täglich daran arbeiten, dass hier fair und möglichst mit Worten diskutiert und gestritten wird. Und auch daran wachsen wir alle.

 

Vor allem aber können wir täglich genießen, dass unsere Kinder fast immer Spielkameraden und Vertraute an ihrer Seite haben. Dass sie auch ohne uns Eltern nicht auf sich alleine gestellt sind.

 

 

Lernfreude und Neugier als Lebensstil

Ich lese immer wieder wie Selbstlerner-Mütter beschreiben, wie sehr sie selbst von dieser gemeinsamen Lernreise mit ihren Kindern selbst erfüllt sind. Wie gemeinsames Lernen eher Lebensstil als Punkt der familiären ToDo-Liste ist. Das habe ich lange nicht verstanden, denn Lernen war für mich langweilige Fleißarbeit und die Lehrer-Rolle eher jemand der andere kontrolliert und zwingt. Irgendwann habe ich verstanden, dass aus Interesse Sach- und Fachbücher lesen, Museen besuchen, Fragen stellen, Natur beobachten, Dinge ausprobieren, reisen und vieles mehr ganz natürliches Lernen ist. Diese Dinge machen mir Spaß. Und ich teile sie unheimlich gerne mit meinen Kindern bzw. unterstütze sie darin, eigenen Interessen nach zu gehen.

 

Es ist nicht das Lernen selbst, welches für mich so unattraktiv geworden ist und auch meine große Prinzessin seit der ersten Schulwoche langweilt. Es ist das schulische Bild des Lernens. Aber Lernen ist so viel vielseitiger und lebendiger. Lernen kann voller Freude und innerer Motivation sein. Es wird dann eine große Bereicherung, den Familienalltag voller Neugier und Lernfreude zu gestalten und in unzähligen Dingen die Lernchancen zu sehen. Lernen ist dann ein geliebter, sehr lebendiger Lebensstil und nicht mehr eine lästige Aufgabe.

 

Für all diese Dinge muss man nicht kindergartenfrei oder schulfrei leben. Auch wer kein Selbstbetreuer ist, kann Verantwortung als Chance auffassen und Kinder am Leben teilhaben lassen, intensive Beziehungen zu seinen Kindern pflegen, die Geschwisterbeziehung fördern und leidenschaftlich gemeinsam neugierig sein. Es hilft aber ungemein den Kopf dafür frei zu haben und sich auf dem Zauber eines intensiv gemeinsamen Familienlebensstils einzulassen.

 

Ich bin dankbar, dass ich diese Dinge kennenlernen durfte und würde mir im Nachhinein wünschen, dass ich gewusst hätte was "kindergartenfrei" bedeutet und dass wir die Wahl haben.

 

Auf in ein fröhliches Familienleben!

5 Aha-Momente beim kindergartenfrei leben

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