Am 6.12. wurden die PISA-Ergebnisse der 2015er Studie veröffentlicht. Und dass muss ich einfach zum Anlass nehmen wieder etwas zu Thema Schule zu schreiben, auch wenn ich mich da zurückhalten wollte (ok, gelingt mir sowieso nicht so gut). Hast du schon nachgeschaut/im Radio gehört/... wie die deutschen Schüler abgeschnitten haben? Interessiert es dich? Gut, dass da mal wissenschaftlich evaluiert wird, wie erfolgreich unsere Schulen so sind?

Mich erschreckt diese Studie und der Umgang mit ihren Ergebnissen. Wir wählen 15-Jährige nach nicht nachvollziehbaren Prinzip aus um ihre Leistung im Lesen, in Mathe und in Naturwissenschaften zu testen. Dann vergleichen wir diese Leitungen um PISA-Gewinner und -Verliehrerstaaten zu küren und auf dieser Grundlage Empfehlungen für die einzelnen Bildungssysteme aussprechen zu können. Denn gute Leitungen wollen wir doch alle und deshalb haben die Gewinner sicherlich ein paar wundervolle Tipps für uns. Dann wird am Bildungs-/Schulsystem herumgeschraubt und voila, die nächsten 15-Jährigen bringen sicherlich bessere Leistungen als die Vorgänger. Alle zufrieden?

Wirklich alle zufrieden? Also ich nicht! Ich möchte nicht, dass die Schule meiner Räuberkinder auf beste Leistungen im Lesen, in Mathe und in Naturwissenschaften hin optimiert wird. Denn für mich machen diese Dinge nur einen Teil der Vorbereitung auf ein zufriedenes und individuell erfolgreiches Erwachsenenleben aus. Doch zumindest dieser kleine Ausschnitt des Gesamtkonzeptes Bildung ist messbar.

Wobei selbst das schon fragwürdig ist: der Lese-Test hat den Ruf eines Intelligenztestes (bloßes Lesen können wohl die meisten 15-Jährigen) und auch die beiden anderen Testteile werden kritisiert (beispielsweise hier bei Wikipedia zusammengefasst). Ein paar wenige Beispielaufgaben (der Großteil wird nicht veröffentlicht) finden sich beispielsweise auf den PISA-Seiten der TUMünchen Es ist eben nicht einfach, allgemeine Standards für alle 15-Jährigen dieser Welt (ok, bisher vieler Industrienationen) zu definieren. Aber auch wenn die wissenschaftliche Grundlage angezweifelt wird und auch, wenn dem ein oder anderen beteiligten Interessenkonflikte nachgesagt werden können, testen wir einfach mal munter drauflos. Doch wozu brauchen wir das? Wer hat ein Interesse daran?

Man sollte meinen, dass Bildung eine individuelle Sache ist. Kind X hat gewisse Anlagen und einen gewisse familiären Hintergrund, dazu eine Reihe weiterer Persönlichkeitsmerksmale wie spezielle Interessen. Das vereinfachte "Ziel" (mein Verständnis) von Bildung sollte nun sein, das Kind X so in seiner sozialen Gemeinschaft aufwächst, dass es eine Aufgabe in dieser Gemeinschaft findet, welche sowohl das Kind zufriedenstellt als auch der Gemeinschaft nützt. Nehmen wir den Staat als diese Gemeinschaft, so hat er natürlich ein gewisses Interesse an der Art dieser Entwicklung - an den "fertigen" Erwachsenen werden gewisse Ansprüche gestellt, damit die staatliche Gemeinschaft funktioniert.

Wärend der Industrialisierung kam die Idee, die Kinder in den Schulen auf ihre gesellschaftliche Aufgabe als Fabrikarbeiter vorzubereiten - so kamen sie weg von der Feldarbeit und lernten das Unterordnen und Aufgaben ausführen. Mittlerweile brauchen wir kaum noch Fabrikarbeiter und in Zukunft immer weniger. Es läuft also irgendetwas falsch im Erwachsenen-Fertigungs- sprich Bildungssystem.

Das spüren die jungen Erwachsenen, die kaum eine Anwendung für ihr Schulwissen und ihre erlerntes Aufgaben-Ausführen finden.

Das spüren die Schulkindeltern, die mit Leistungsdruck (damit du zumindest etwas besser kannst als deine Mitbewerber) oder völlig anders (Freilernen?) reagieren.

Das spüren die Schulkinder, die beispielsweise kein Smartphone im Unterricht verwenden dürfen (Arbeitsplätzer der Zukunft haben sicherlich keinerlei PC´s) oder die ständig selbstständig sein sollen/müssen aber in der Schule plötzlich nicht sein dürfen.

Das spüren auch einige Lehrer, die zusehen wie sie vielen Kindern nicht wirklich gerecht werden können.

Das spüren aber auch die Strategen und Experten und so muss eine neue Strategie her. Da die Qualitäten der "fertigen" Erwachsenen in unserer Gesellschaft von der Wirtschaft diktiert werden, mischt nun seit über 10 Jahren eine Wirtschaftsorganisation kräftig mit. Es geht um Humankapital für internationale Wettbewerbsvorteile. Oder ging es etwa um Kinder?

Ich sehe das alles viel zu schwarz? So ein kleiner PISA-Test tut schon keinem weh? Stimmt! Das Problem ist, was mit den Ergebnissen passiert. Wenn auf dieser Grundlage Entscheidungen für das Bildungssystem getroffen werden, dann entscheiden wir weiter völlig weg von den tatsächlichen Menschen. Weg von ihren Bedürfnissen und Talenten, weg von ihren persönlichen Zukunftswünschen hin zu einer von einer Wirtschaftsorganisation geprägten Zukunft. Bitte wacht doch endlich auf, es geht um Menschen und nicht um Computer, deren Programmierung wir auf die jeweiligen Bedürfnisse ausrichten können.

Du möchtest mehr zu diesem Thema lesen? Dann empfehle ich dir den offenen Brief an Andreas Schleicher (langjähriger PISA-Koordinator), welcher von Heinz-Dieter Meyer (Pädagogik-Professor der State University of New York) und Katie Zahedi (Schulleiterin in New York) veröffentlich wurde. Zugänglich im Englischen Original sowie in deutscher Übersetzung ist dieser Brief beispielsweise auf der Website der Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V. und kann dort auch unterzeichnet werden. Weiterhin kann ich das Buch "Die Kindheit ist unantastbar: Warum Eltern ihr Recht auf Erziehung zurückfordern müssen"* von Herbert Renz-Polster empfehlen. Die überaus großartige Selbstdarstellung mit überaus nichtssagenden Formulierungen in den häufig gestellten Fragen findest du auf der deutschen Seite der OECD. Dort findet sich auch eine deutschsprachige Zusammenfasung der aktuellen Ergebnisse.

Was wählst du: Bildung optimiert um den einzelnen Menschen zu unterstützen oder Bildung optimiert nach wirtschaftlichen Interessen?

Ich freue mich über Kommentare!