Einschulungsuntersuchung ODER Willkommen im Bewertungssystem

Wer meine Posts zum Freilernen gelesen hat, weiß mittlerweile, dass ich dem Schulbesuch meiner großen Prinzessin nicht gerade begeistert entgegen blicke. Trotzdem wird es wohl so kommen, da uns bisher kein alltagstauglicher Ausweg eingefallen ist. Jedenfalls waren wir diese Woche bei ihrer Einschulungsuntersuchung beim Amtsarzt und davon möchte ich euch berichten.

Zuerst einmal: beide Ärztinnen, mit denen wir zutun hatten, waren sehr freundlich und sowohl meine Prinzessin als auch ich fühlten uns in guten Händen. Wir haben sogar unbeabsichtigt einigen Wirbel veranstaltet und trotzdem blieben beide sehr freundlich. Das hat mich sehr gefreut. Insbesondere derjenigen Ärztin, die verwundert akzeptiert hat, dass die Prinzessin sich nicht ausziehen wollte bin ich dankbar für ihr Verständnis und eben nicht auf "das-machen-wir-aber-immer-so"-Bestehen. Es ging zum Glück auch so und meine Große durfte über ihren Körper bestimmen - so sollte es eigentlich immer sein.

Gleichzeitig hat mir die gesamte Untersuchung aber sehr viel zu denken gegeben: Müssen wir die Entwicklung unserer Kinder auf diese Weise kontrollieren und bewerten? Ich kann mir gut vorstellen das einige Kinder davon profitieren, wenn sie in bestimmten Bereichen Hilfe von Fachpersonal bekommen oder wenn Seh-/Hörprobleme etc. rechtzeitig erkannt werden. Aber warum müssen wir testen:

  • wie groß und wie schwer sie sind (das gesunde Mittelmaß und den Allgemeinzustand erkennt man doch auch so)
  • ob sie bedeutungslose Bilder möglichst originalgetreu abmalen können
  • ob sie sich auf eine sinnlose Aufgabe ausreichend lange konzentrieren können
  • ob sie die Mengen 3-6 anhand von Punkten ohne zu Zählen richtig erfassen
  • ob sie Präpositionen und Plural richtig verwenden
  • ob sie auf einem Bein jeweils 9x hüpfen können
  • wieviele Hopser sie in einer bestimmten Zeit schaffen (natürlich nur vorgeschriebene Hopser von einer markierten Fußbodenstelle zur anderen)
  • ...

Warum testen wir nicht ob sie in zusammenhängenden Sätzen eine Lieblingsgeschichte nacherzählen können? Ob sie zeichnerisch umsetzen können, was sie im Kopf haben? Ob sie sich helfen können, wenn sie verloren gehen (z.B. ihre Adresse kennen) und ob sie grundlegende Verkehrsregeln beherrschen? Ob sie eine Ahnung davon haben, was gesund und was ungesund ist? ...

 

Wer hat entschieden, dass auf einem Bein hüpfen wichtiger ist als eine Rolle zu können oder auf einen Baum zu klettern? Dass mathematisches, logisches Denken getestet wird aber nicht musikalische, künstlerische oder was auch immer für Fertigkeiten?

 

Und nachdem das Kind getestet wurde, werden in seiner Anwesenheit (wobei es bitteschön ruhig spielen soll) die erfassten Defizite erläutert. Wie fühlt sich das Kind wohl bei diesem Gespräch, gerade wenn vieles nicht geklappt haben sollte? Geht es dann gestärkt und selbstbewusst an das Lernen heran oder ist seine erste Erfahrung im Namen der Schule dann nicht gleich ein "du genügst nicht, so wie du bist?". Muss das sein?

 

Und noch etwas anderes finde ich merkwürdig: hinsichtlich möglicher Hilfe für die zukünftigen Schulkinder (Logopäde etc.) macht ein Termin im Juni keinen Sinn. Dann sollte dieser Termin schon mindestens ein halbes Jahr vor Schulbeginn liegen. Selbst als Entscheidungshilfe ob ein "Kann-Kind" noch ein Jahr warten soll oder nicht ist solch eine Schuluntersuchung im Juni ziemlich spät. Warum also dann diese Untersuchung? Für mich fühlte es sich nach "Willkommen im System von ständigen Bewertungen und Kontrollen" an - und ich hätte am liebsten geantwortet "nein danke".

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Kommentare: 2
  • #1

    Jule (Samstag, 19 November 2016 18:28)

    Vielen Dank für deine hier veröffentlichten Gedanken! Mir geht es gerade genauso!! Mein Sohn wird im kommenden Jahr schulpflichtig und ich weiß nicht so recht wohin unser Weg führen wird. Was ich weiß: Das Schulpflichtsystem bereitet mir viele Sorgen und ich mache mir Gedanken, was ich mir für meinen Sohn wünschen würde und wie ich dies wohl am besten gewährleisten kann. Wir haben nun auch den Termin zur Schuleingangsuntersuchung (hier ein halbes Jahr vor Schulbeginn) und auch mir kam direkt der Gedanke "Wilkommen im Testen, Bewerten und Normieren". Der freiwillig auszufüllende Fragebogen weckt in mir bereits nur "ich will das alles nicht"-Gedanken.

  • #2

    Maria (Samstag, 19 November 2016 22:45)

    Hallo Jule,
    danke für deinen Kommentar - ein Glück bin ich nicht alleine :-)
    Mittlerweile haben wir seit September ein Schulkind und wenn ich ehrlich bin, würde ich diese Schulerfahrung lieber heute als morgen beenden. Natürlich sind die Lehrer nett und bemüht und natürlich haben sich die Kinder riesig darauf gefreut - die Schultüte und die "Gehirnwäsche" vorher haben da ganze Arbeit geleistet. Doch die anfängliche Freude ist so unglaublich schnell verflogen. Alle Erstklässler haben rasch gelernt, mit einem nichtssagenden "Toll" auf die Frage nach der Schule zu antworten und schnell das Thema zu wechseln. Und nachmittags weint das Kind viel, träumt schlecht, langweilt sich in der Schule aber darf nichts anderes machen als einfach dazusitzen und nicht zu stören, bekommt täglich mehrere Seiten Hausaufgaben auf, schreibt noch keine Arbeiten aber dafür Lernstandkontrollen, ... Es ist "nur" die gemütliche Grundschule und trotzdem beherrscht sie das Leben der Prinzessin und wirkt auch weit in das Familienleben hinein. Uns gefällt das nicht, aber Alternativen sind schwierig. Aber für Mutige gibt es Alternativen und für alle anderen die Möglichkeit, dieses Thema und die Alternativen in die Köpfe der Menschen zu tragen damit sich möglichst bald etwas ändert- sowohl in den Schulen als auch für die Familien, die es lieber ohne versuchen wollen. Schön, dass du auch nicht am "es war aber immer so und da muss einfach jeder durch" festhällst.
    Ich hoffe, ihr findet einen guten Weg für euch. Erzähle mir gerne mehr davon!
    Viele Grüße,
    Maria